Deutschlands digitales Versagen

Ja, es ist immer einfach, nur zu schimpfen. Jens Spahn hat es im Frühjahr bereits gesagt, wir werden uns viel zu verzeihen haben. Trotzdem gibt es einige Dinge, die ich nicht verstehen kann. Ich bin Informatiker und Datenschützer und habe mir das bunte Treiben in dieser pandemiegeplagten Republik jetzt lange genug angesehen, um zumindest für mich zu dem Schluß zu kommen, dass unsere Regierungen – und da ist die Frage der Farbe vollkommen irrelevant – in Sachen digitaler Bewältigung der Pandemie vollkommen versagt haben.

Es ist nicht nur die allgemeine Strategielosigkeit, die sich darin zeigt, dass auch nach dem Warnschuss im März/April, den Regierenden nichts besseres einfällt als mit einem Werkzeugkoffer aus dem 15. Jahrhundert gegen die Pandemie anzutreten. So mancher mag sich darauf zurückziehen, man hätte einen solch schweren Verlauf im Herbst nicht vorsehen können, aber ganz ehrlich: Das ist wenig überzeugend. Auf einen solchen Verlauf nicht vorbereitet zu sein, zeugt von ganz schlechtem Krisenmanagement. Kostbare Zeit ist seit April verstrichen, ohne dass sich irgendetwas zum Besseren entwickelt hätte. Die Schulen wurschteln sich weiterhin irgendwie durch, für den Lockdown jetzt, gab es nicht einmal einen Plan B. Mal eben schnell einen Investitionsstau in der Digitalisierung der Schulen bei den gegebenen föderalen und komplexen Strukturen auflösen zu wollen, ist wenig erfolgversprechend. Dementsprechend ist ja auch praktisch nichts passiert. Die Zeit hätte man aber für alternative Konzepte nutzen können. Stattdessen hat man Schulen, die sich ein tragfähiges eigenes Konzept überlegt hatten, aus ideologischen Gründen wieder zurück ins Glied gepfiffen.

Wochenlang hat man für die Corona-Warn-App getrommelt. Das Justizministerium hat es dabei nicht für notwendig erachtet, für die Nutzung der Warn-App eine gesetzliche Grundlage zu schaffen. Stattdessen hielt man die Datenschutzregeln der DSGVO für ausreichend und angemessen. Dass am Ende die App nicht das leistet, was man sich versprochen hat und dass nun einige Parteien doch gerne mehr Daten hätten als die App zu liefern in der Lage ist, ist dann natürlich die Schuld des völlig überzogenen Datenschutzes in Deutschland. Ganz nüchtern betrachtet, hat man zu Beginn schon so viel Vertrauen durch Misskommunikation und stures Festhalten an gefassten Beschlüssen verspielt, dass auch nur noch eine extrem abgespeckte Datensammlung öffentlich zu vertreten war. Das ist offensichtlich am Ende ja auch Herrn Spahn aufgefallen, der sich zudem der Macht des Faktischen beugen musste, da die App ja bekanntermaßen nur auf den Schnittstellen von Apple und Google aufbauen kann.

Statt von vornherein eine gesetzliche Grundlage zu schaffen, die genau festhält, welche Daten zu welchen Zwecken erhoben werden, wie lange sie gespeichert werden dürfen, wer sie nutzen darf und was damit nach der Pandemie passiert, hat man sich irgendwie durchlaviert. Eine solche gesetzliche Grundlage, die die notwendigen Garantien für die Rechte und Freiheiten der Betroffenen umfasst hätte, wäre auch unter dem Regime der DSGVO möglich gewesen und hätte vermutlich die Erhebung und Verarbeitung von deutlich mehr Daten erlaubt. Dass man in der deutschen Regierung offensichtlich nur großen Konzernen zutraut, eine solche App zu bauen, hat nicht wesentlich zum Erfolg beigetragen. Letztlich sind Millionen für etwas relativ Unbrauchbares hinausgeworfen worden. Und schon mehren sich Stimmen, die nach einer App 2.0 schreien.

Wie sehr unsere Regierungen mit ihren großen Ministerien im Management der Pandemie versagen, zeigt sich an Kleinigkeiten. In jeder Corona-Schutz-Verordnung – oder wie sie jetzt im jeweiligen Bundesland auch immer heißen mag – ist die Pflicht zur Erfassung von Kontaktdaten in vielen Lokalitäten vorgeschrieben worden. Aber niemand hat sich die Mühe gemacht, den vielen Unternehmen ein einfach zu handhabendes Muster zur Verfügung zu stellen, wie sie das umsetzen sollen. Help yourself war da die Devise. Die einen Unternehmer:innen haben einfach Papierlisten ausgelegt, auf denen jeder die Besuche der letzten drei Tage nachvollziehen konnte, andere haben einzelne Zettel ausgegeben. Manchmal lagen die Zettel noch vom Vorbesucher auf dem Tisch. Andere haben sich digitalisiert und ganz “datenschutzkonform” Google Forms eingesetzt. Andere haben sich kleine Formulare einfallen lassen mit teilweise kruden, falschen Rechtsgrundlagen. Andere haben das Ganze gleich gelassen. Dafür haben andere wieder Apps programmiert und angeboten, die aber kaum Absatz gefunden haben. Und zum Schluss hat sich dann auch noch die Polizei an den Listen bedient – und das leider auch für Bagatellfälle. Alles streng nach der Strafprozessordnung – aber hallo? Vertrauen schafft das nicht.

Was mich aber vollkommen fassungslos zurücklässt, trägt den Namen SORMAS. Hier findet sich ein Artikel dazu: https://www.tagesschau.de/investigativ/ndr-wdr/digitalisierung-corona-103.html

In dem Artikel steht – und das kann man auch auf der Seite von SORMAS nachlesen, dass das System seit März zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie zur Verfügung steht, aber erst am 11. November sich die Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten darauf geeinigt hat, das System bis zum Jahresende bei 90% (Ja! nicht etwa bei 100% – nein, man ist ja bescheiden, nur bei 90%) der Gesundheitsämter einzuführen. Stand 26.11. sind es gerade mal 76 von 350 Gesundheitsämtern. Die anderen arbeiten weiterhin mit Zettel, Stift, Faxgerät und teilweise hoch-digitalisiert mit Excel-Tabellen.

Es wurde kein Alt-Text für dieses Bild angegeben.

Wenn wir heute davon träumen, auf Inzidenz-Werte von 50 zurückzukommen, damit das alles wieder durch die Gesundheitsämter handhabbar wird, dann haben wir das Potential der Digitalisierung nicht verstanden. Dann wurschteln wir also so weiter und verspielen weiter Vertrauen, Vermögen und Zukunft.

Im Übrigen nochmal für alle zum Mitschreiben!!!!!! Das hat mit Datenschutz überhaupt nichts, gar nichts, überhaupt gar nichts, also praktisch null zu tun. Und wer sich weiterhin dahinter versteckt, der soll bitte erstmal aus der Deckung kommen und mir erklären, an welcher Stelle der Datenschutz eine effektive Digitalisierung ernsthaft verhindert hätte. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Das hat uns Herr Spahn bei seinen anderen Gesundheitsprojekten, die den Datenschutz mit Füßen treten ja schon eindrucksvoll bewiesen.