Keine Sorge, dieser Artikel dreht sich wieder nur um Clubhouse. Sie brauchen sich – liebe Leser:in – nicht umgewöhnen. Etwas tiefgründiger geht es aber auch um Innovationen, um europäische Identität und ethische Leitlinien und um das, was der Hype uns lehrt. Aber gehen wir’s mal systematisch an.

Ist Clubhouse eine Innovation?

Mit Clubhouse ist eine innovative Idee geboren worden. Innovation besteht ja nicht zwingend daraus, etwas elementar Neues zu tun, sondern es vielleicht nur in einer elementar neuen Art und Weise zu tun. Insoweit bringt Clubhouse keine wirklich neuen Funktionen auf den Markt, aber es kombiniert sie in einer Art und Weise, die bisher so nicht existierte. Clubhouse ist ein akustisches Format, das für einen Teil von Menschen einen niederschwelligen Zugang zu Diskussionen bedeutet und Dank des Hypes auch Prominente, Politiker und Normalbürger einander näher bringt. Die Technik verwirklicht damit durchaus positive Werte wie z.B. den Zugang zu Meinungsbildung und politischen Diskussionen mit der Möglichkeit der direkten Beteiligung. Meinungsvielfalt und das Recht auf freie Meinungsäußerung können hier über Grenzen hinweg verwirklicht werden. Allerdings ist das in der vorliegenden Version der App nicht schrankenlos. Zum einen werden Menschen durch die Wahl der Technologie als auch durch das Invite-Only-Prinzip ausgeschlossen. Zusätzlich gibt es noch eine Gruppe von Menschen, die die App aus rechtlichen oder sicherheitstechnischen Gründen nicht nutzen wollen. Auch diese bleiben ausgeschlossen. Und zum anderen muss sich die App eine mangelnde Barrierefreiheit vorwerfen lassen.

Die Blase und das Abwandern des Diskurses

All das wäre nicht wirklich relevant, wenn nicht gleichzeitig eine große Berliner Politikblase auf der Plattform entstünde, die einen breiten politischen Diskurs aus der breiten Öffentlichkeit in eine Schein-Öffentlichkeit verlagert. Die App realisiert somit auch negative Werte wie Ausgrenzung, Blasenbildung und mangelnde Transparenz des Diskurses. Nichts ist nachlesbar. Die Veränderung von Standpunkten, die Bewegung in Meinungen aber auch die rhetorische Manipulation werden unsichtbar, wenn man nicht unmittelbar teilgenommen hat. Eine Diskussion in einem Clubhouse-Raum ist mal eben schnell organisiert, ein öffentliches Event funktioniert so nicht, insbesondere in Corona-Zeiten. Diesen Vorteil spielt die App zu ihren Gunsten aus. Unzweifelhaft geht mit der Etablierung eines Teils des politischen Diskurses in diesem digitalen Raum eine Veränderung der Öffentlichkeit einher. Der Diskurs droht, sich auf eine Plattform zu konzentrieren, die zumindest derzeit nicht für alle Bürger offen steht. Sowohl die technischen Barrieren als auch Zugangsbeschränkungen schließen um ein Vielfaches mehr Bürger aus als sie zulassen. Die Betreiber begründen dies mit der Beta-Phase des Produkts, aber verantwortlich für die Verlagerung des Diskurses in diesen Raum sind die Diskutanten selbst und nicht der Plattformbetreiber. Der Diskurs über dieses Medium kostet Zeit. Zeit, die für den Diskurs über andere Kanäle oder Medien mit geringeren Zugangshürden nicht mehr zur Verfügung steht. Insofern ist dies kein Mehr an Angebot sondern das genaue Gegenteil. Scheinbar ist das Bedürfnis der Politiker nach öffentlichen Auftritten so groß, dass bereits diese Pseudo-Öffentlichkeit als Karotte dient, um einem Hype hinterherzulaufen, der rational nicht zu begründen ist. Der öffentliche Auftritt als Warmlaufen für den Wahlkampf. Die Marketingmaschine des Plattformbetreibers hat damit perfekt funktioniert. Mit der Zugkraft von reichweitenstarken Persönlichkeiten wurde ein Hype generiert, der bei Vielen die Angst geschürt hat, etwas zu verpassen. Wo immer Güter knapp und begehrt sind, sind auch gleich diejenigen zur Stelle, die damit Kasse machen. Auf Ebay-Kleinanzeigen kann man für durchschnittlich 20-30€ den Zugang zu der Plattform kaufen. Es wurden aber auch schon Angebote von nahezu 50€ gesichtet.

Welpenschutz für digitale Innovationen – oder doch nur Marktverzerrung?

Wenn eine Innovation entsteht, dann steht zu Beginn das Neuartige im Fokus. Es ist nur natürlich, dass man sich bei der Entwicklung auf die Kerneigenschaften konzentriert und alles andere weglässt. Als Investor würde ich ebenso darauf achten, dass das Geld zielgerichtet eingesetzt und nicht wild verteilt wird. Dennoch muss auch eine Innovation, sei es ein Unternehmen, eine Dienstleistung oder ein analoges wie digitales Produkt einige Grundanforderungen erfüllen, bevor es auf den Markt kommen darf. Bei Nahrungsmitteln oder Medizinprodukten haben sich dafür entsprechende Prozesse etabliert, die bei IT-Produkten im Allgemeinen fehlen. Dennoch müssen auch diese Produkte, sobald sie das Labor verlassen und in der freien Wildbahn getestet werden sollen, bestehende Gesetze erfüllen. Der vielgescholtene Datenschutz ist eine der Eigenschaften, die als “Privacy by Design” bereits in die Produktentwicklung eingehen sollte. Etwas, dass bei CH scheinbar nie stattgefunden hat. Europas Politiker betonen immer wieder, wie wichtig der Datenschutz für Europa ist und wie sehr er sich zum Exportschlager entwickelt hat. Immerhin haben einige Regionen dieser Welt ganz ordentlich aus der DSGVO abgeschrieben. Datenschutzkonforme Produkte sollen die Stärke Europas werden und sich so von amerikanischen oder asiatischen Produkten absetzen. Viele innovative junge Unternehmen setzen hier Maßstäbe, indem sie ihre Produkte im Einklang mit den Rechten der Nutzer und nach ethischen Maßstäben entwickeln. Aber genau gegenüber diesen Unternehmen ist es unfair, wenn es zur Ungleichbehandlung von z.B. amerikanischen und europäischen Anbietern kommt, indem man im Hype gleich alle europäischen Prinzipien und Anforderungen über Bord wirft und noch behauptet, es sei falsch Innovationen gleich zu Anfang mit der Datenschutzkeule zu zerschlagen. Die politische Klasse sorgt hier mit Verve für eine Benachteiligung europäischer Unternehmen, betreiben Wettbewerbsverzerrung zu Lasten ihrer Finanziers. Würde man wirkliche Chancengleichheit wollen, dann müsste man sich mit den folgenden Fragen auseinandersetzen: Ist es legitim, einem neuen innovativen Unternehmen einen rechtlichen Welpenschutz zu geben? Welche der allgemein gültigen Gesetze und Verordnungen könnten wir denn einfach – sagen wir für die ersten 3 Jahre – aussetzen? Was den Datenschutz anbetrifft, haben wir zurecht in der DSGVO die Prinzipien “Privacy by Design” und “Privacy by Default” verankert. Die Entwicklung digitaler Produkte soll den Datenschutz nicht als zusätzlich zu erfüllende Anforderung sehen, die man zur Not später noch nachbessern kann. Nein, der Schutz der Anwender muss bereits elementarer Teil der Entwicklung sein.

Es geht um die Menschenwürde.

Beim Datenschutz geht es um den Schutz der Menschenwürde im Digitalen. Der Begriff Datenschutz ist daher falsch und irreführend, da die Daten hier nur einen Risikofaktor darstellen, es im Kern aber eben nicht um (die) Daten geht. Datenschutz genießt kein positives Image. Datenschützer sind die potentiellen Verhinderer und haben ein grundsätzliches Akzeptanzproblem; Es sind die, deretwegen immer etwas gerade nicht geht. Dabei ist diese Sichtweise so falsch wie unfair. Datenschutz soll verhindern, dass der Mensch vom Datensubjekt zum Datenobjekt wird. Auch wenn ein Mensch durch Daten in einem System repräsentiert wird, ist er nicht mit den Daten gleichzusetzen. Entscheidungen, die Dritte über einen Menschen nur aufgrund von Daten treffen, die sie über denjenigen gespeichert haben, dürfen die Würde des Menschen nicht verletzen. Damit darf es z.B. nicht dazu kommen, dass ein Mensch automatisierten, also von Maschinen auf Basis von Daten getroffenen Entscheidungen bedingungslos ausgeliefert wird. Er muss das Recht haben, solche Entscheidungen anzufechten und auch das Recht haben, die Entscheidung von einem menschlichen Gegenüber überprüfen zu lassen. Datenschutz definiert den Kernbereich des Menschen, der für jegliche digitale Transformation tabu sein muss. Wo würden wir als Menschheit landen, wenn wir für die neuesten Errungenschaften unsere Würde über Bord würfen; wenn wir jede Nuance menschlichen Lebens als Datenpunkt in Maschinen fütterten, damit diese uns noch transparenter und berechenbarer machten? Wollen wir wirklich, dass uns Dritte so gut kennen, dass sie vorhersagen können, was wir tun, noch bevor wir den Gedanken dazu gefasst haben? Minority Report lässt grüßen.

Sind wir doch nur moderne Maschinenstürmer?

Die ständige Kritik an digitalen Innovationen kann schon nerven. Schnell findet man sich im Verdacht, Innovationen verhindern zu wollen. Versuchen wir es daher konstruktiv. Wie also sollen wir als Gesellschaft Innovationen beurteilen und dafür sorgen, dass sie auch hierzulande eine Chance haben? Wir sind eine werteorientierte Gesellschaft. Unsere Grundwerte bestimmen das Zusammenleben. Die Produkte und Dienstleistungen, die in unserer Gesellschaft angeboten werden, sollten unsere Grundwerte widerspiegeln. Produkte, die diesen Grundwerten widersprechen, sollten gemieden werden. Die Realität sieht indes anders aus. Geschäftsmodelle, die den Benutzer zur Ware degradieren, die so viele Daten wie möglich über eine Person erheben wollen, um damit noch mehr Profit machen zu können, wenden sich gegen die Menschenwürde. Der Mensch wird nicht mehr als Subjekt gesehen sondern als die Quelle eines Datenstroms, die so lange wie möglich auf einer Plattform gehalten werden soll, um die Daten abzuzapfen und zu verkaufen. Fehlt nur noch das Userwohllabel, das anzeigt, unter welchen manipulativen Methoden die Daten erlangt wurden. Neue Produkte, innovative Produkte haben keinen Welpenschutz, wenn es um die Wahrung der Menschenwürde geht. Produkte, deren Sinn die Entrechtung und Vermarktung der Benutzer ist, dürfen nicht kritiklos akzeptiert, kritiklos genutzt werden. Produkte, die soziale Konflikte nähren, Filterblasen erzeugen, Menschen ausgrenzen und diskriminieren, dürfen nicht kritiklos genutzt werden. Innovationen, die dazu führen, dass Teile der Gesellschaft abgehängt und ins kommunikative Aus abgedrängt werden, dürfen nicht kritiklos hingenommen werden.

Rationales Abwägen oder moralische Falle?

Darf ich eine Innovation, die für bestimmte Kreise einen hohen Nutzen generiert, aber im Grundsatz gegen gesellschaftlichen Werte verstößt nutzen? Oder um es in anderen Worten zu sagen, darf es eine Abwägung zwischen dem Nutzen einer App und fundamentalen Grundwerten geben? Sind diese wirklich verhandelbar? Wenn wir auf Clubhouse zurückkommen, scheint es fast so zu sein. Für die meisten Benutzer scheint der Datenschutz keine besondere Rolle zu spielen.